Aleš Steger (Lyrikfestival W:ORTE, Hohenems 2022)

Innerhalb von drei Wochen war Aleš Stegers 1995 erschienener erster Gedichtband ausverkauft. Heute, sechs Gedichtbände im Reisekoffer, den er, stelle ich mir vor, niemals auspackt, stattdessen immer mehr verdichtet und sublimiert, ist er der bekannteste slowenische Autor seiner Generation. Dabei lässt er's nicht bewenden, sondern setzt sich, über sich selbst hinaus, auch als Lektor, Verleger, Übersetzer und mit seinem internationalen Poesiefestival, das einen Namen wie ein Filmtitel von Wong Kar-Wai trägt: Days of Poetry and Wine, und dessen Veranstaltungsorte dionysisch um das Festivalherz, Aleš' inmitten von Weinbergen gelegenes Kindheitsdorf Ptuj, tanzen, für die Weltliteratur ein.

Wo der Dichter Aleš Steger seinen sensiblen, philosophischen Koffer abstellt – den ganz leichten, stelle ich mir vor, um frei zu bleiben, überallhin weiterreisen zu können – den Koffer, den er, stelle ich mir vor, weit geöffnet mit sich trägt, weil ihm alles so bleibens- wie aufgreifens-, mitnehmenswert ist, insbesondere das vermeintlich Unscheinbare –, tritt er den kleinen Dingen als Gentleman entgegen, der in ihnen das ganz Große mithört. Und auch ihren Humor. So machen in seinem bei Suhrkamp erschienenen essenziellen Gedichtband Buch der Dinge schon die Titel und Sujets ganz großen Spaß: Aspirin. Korken. Minze. Brot. Schubkarre. Fußmatte. In Zahnstocher genügt Steger ein einziger erster Vers Anlauf, um mit der zweiten Gedichtzeile bereits eine Revolution anzustacheln: 'Ruft zum Aufstand' – und weiter geht's mit der fröhlichen Aufwiegelung: 'Widerstand', 'Protest', 'Robespierre', fackeln die Wörter im Gedicht auf, 'Revolution', 'die Lanze des Zenturios / Imperium gesäubert' – kulminierend in der Schlusszeile mit Knockout-Punch: 'Auch dieses Königreich wird untergehen.' Wow! Da wird selbst der Zahnstocher in Sylvester Stallones Mundwinkel neidisch!

Zugleich reist der Dichter Aleš Steger im ganz Großen, ganz darin zuhaus-nichtzuhaus –:

‘Jeder von uns

Kommt von irgendwo her,

Jeder kommt dauernd

Von irgendwo

An.

Wir hören nie auf

Anzukommen, zu singen, jeder zu sein.’

Oder, in Kaschmir im gleichnamigen Gedichtband in der Edition Korrespondenzen, einem meiner Lieblingsgedichte von Aleš:

‘Obwohl du weggehst und zurückkommst, bist du immer hier.

Weil hier nicht hier ist.

Hier ist Kaschmir.’

Aleš Stegers Tiergedichte, liebe Zuhörer*innen, sind Weltklasse. Sind ganz so, wie ich mir Welt wünsche: die Tiere und wir, alle auf Augenhöhe miteinander. Unser aller Begegnungen einander beredt. Nie beiläufig. Nie abschätzig. Anlässe zur Selbstüberprüfung:

‘Ich beeilte mich

Die Fenster in mir

Aufzuschließen, zu überprüfen

Wer das Trugbild war.’

Speziesübergreifend global-interspezies-demokratisch also. Aleš Steger würde es nicht einfallen, die Ameise zu verkleinern – ihm trägt sie 'das Unsichtbare durch die sichtbare Welt'.

Hochverehrte Zuhörer*innen – der überfließend leichte Reisekoffer des Aleš Steger.

© Mikael Vogel.

Zitate aus: Aleš Steger, Buch der Dinge, © Suhrkamp Verlag, 2006; Aleš Steger, Kaschmir, © Edition Korrespondenzen Wien 2001.

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Mikael Vogel