Martin Piekar (Lyrikfestival W:ORTE, Imst 2022)

Martin Piekar bringt, seit er 2014 in Verkörperung seines Gedichtbands Bastard Echo mit einem schwarzen Urknall in Erscheinung trat, eine Vehemenz in die Lyrik, die ich, liebe Damen und Herren, zuvor, in den Jahren v.P., in den Jahren vor Piekar, bitter vermisste. Das war unvermeidlich, denn Piekars Vehemenz ist einzigartig, ist seine Vehemenz. Die Piekar-Vehemenz. Piekar riskiert, immer wieder. Verwandelt das Risiko zu festem Boden, auf dem er aufstampft – mit donnernder Klarheit, explizit. Die Piekar-Vehemenz rührt aus den Inhalten her, die Piekar danach aussucht, wo es weh tut, wo es gesamtgesellschaftlich schmerzt wenn er darauf aufstampft – denn Gesellschafts-Aufstampfweh ist symptomatisch.

'Erwachsenwerden heißt Welt einstecken

Welt wegstecken lernen'.

Martin Piekar sondiert die Dunkelheit. Den Gesellschaftdreck. 'Dreck und Disko'. Von innen her, nicht als Tourist. Die Marginalisierung – etwa in seinem Revival des Worts 'Bastard'. Die Gewalt. 'Wie schreibt man gegen Brandanschläge an?' Da, wo die Gewalt unter aller Augen ihre menschenindividuenessenden bösen Blütenkelche tropfen lässt. In der Sprache, in der Kultur, in Medien, Spiel-Spaß-Spannung, Werbung, Egoshooter, Onlineforen – 'In voller Blüte / Ist ein Anschlag / Ein Ausschlag // Und umgekehrt / Wortwut / Sendung ohne Empfänger', wie es in AmokPerVers (2018) hieß. Gewalt erwächst aus Vereinzellung. 'Isolation erneuert Isolation erweitert Isolation', so im Gedicht 'Anschlag' aus dem Kapitel 'Antiterror Podcast' im gleichen Band. Das ist Grundlagenforschung. 'Alle Lebenden sind Überbleibsel'. Und verpflichten.

'Ich habe keine Vorräte angelegt

Ich bin mit Hunger aufgewachsen'

Oder:

'Ich bin gegen erhabene Gedichte

Ich muss dem Gedicht genügen

Ich bin gegen Gedichte ohne Widerstände

Ich bin für und gegen meine Gedichte'

'Für keine Notlösungen', beginnt eine Widmungen, die Martin mir einmal in eines seiner Bücher geschrieben hat. Ich bin stolz, in Martin einen Weggefährten zu haben, der dies immer, heute aber mehr denn je verkörpert – hier, für uns, heute abend.

Wie verändern Friedensgesänge sich, wenn Monate nach deren Beginn ein Vernichtungskrieg in sie und in alles andere einbricht? Wie verändern Friedenstauben sich angesichts von Raketeneinschlägen, Streubomben, angesichts des unilateralen Terrors eines Aggressorstaats gegen dessen friedliche Nachbarin? Piekars 'Schreie ins Panzerrohr' in seinen aktuellen Gedichten, seine Teilnahme bis ins Äußerste des fiktiven, rückhaltlosen, erschütternden Versuchs, seine eigene Mutter an ihrem Rollator über die Trümmer, die vermeintlichen Trümmer der anderen hin, zu retten, ist vorbildlich. Denn Empathie verlangt unsere Einmischung, unseren Aufruhr. Eine rabiate Fragestellung: Darf man sich vom eigenen, sicheren Land aus ins Krieggeschehen anderswo mit hinzudenken? Piekar zeigt auf: Unbedingt ja! Das muss man! Würden alle das so machen, dann gäbe es keine Kriege mehr. Oder zumindest stünden wir alle dem Krieg, diesem Krieg, allen Kriegen, entschlossener entgegen.

Martin Piekar.

© Mikael Vogel.

Zitate aus: Martin Piekar, AmokPerVers, © Verlagshaus Berlin, 2018; Martin Piekar, Bastardecho, © Verlagshaus Berlin, 2014; sowie © Martin Piekar.

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Mikael Vogel